Zukunftsfragen des Baubetriebs - Komplexe Baubetriebssysteme, 14.5.2020

Nachlese 2018

Die Zukunft des Baubetriebs beginnt heute – eine Nachlese zum Kolloquium Zukunftsfragen des Baubetriebs

Beitrag: Gerald Goger und Leopold Winkler
Fotos: Klaus Ranger

Am 17.05.2018 fand das erste Kolloquium zu den „Zukunftsfragen des Baubetriebs“ im Kuppelsaal der TU Wien statt. Mit der Teilnahme von 250 ExpertInnen aus Wissenschaft und Wirtschaft war der Kuppelsaal gut gefüllt.

Den Auftakt der Veranstaltung machten der Moderator Wojciech Czaja, die Rektorin Sabine Seidler und der Dekan der Fakultät für Bauingenieurwesen Ronald Blab. Sie betonten die Wichtigkeit des Wissenschaftsstandorts der TU Wien und machten anhand einiger Beispiele klar, welche Bemühungen unternommen werden, um Zukunftsfragen des Baubetriebs zu beantworten.

Anknüpfend an den Auftakt stand der Vormittag der Veranstaltung ganz im Zeichen der Wissenschaft. Prof. Goger präsentierte im Vortrag sein Konzept „Safety2 für den Baubetrieb“ und griff den Untertitel der Veranstaltung „Prozess vermeidet Prozess“ auf, indem er erklärte wie baubetriebliche Prozesse mit der Hilfe der Digitalisierung besser verstanden, modelliert und koordiniert werden können. Prof. Haghsheno vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) brachte daraufhin dem interessierten Publikum näher, dass Lean Management im Bauwesen als Philosophie verstanden werden muss und einzelne Techniken und Werkzeuge nur als Teil des Ganzen zu sehen sind. Die Techniken der Lean Construction können zwar durch Digitalisierung unterstützt werden, Organisationsstrukturen und das Erkennen nicht-wertschöpfender Prozesse, müsse aber durch Menschen und Organisationen getragen werden, so Prof. Haghsheno.

Kuppelsaal beim Vortrag von Prof. Goger
Das Auditorium im Kuppelsaal der TU Wien.

In den Fragerunden wurden die Konzepte der beiden Professoren intensiv diskutiert. Insbesondere die jungen IngenieurInnen hinterfragten, wie sehr Individualität in der Bauausführung noch geschätzt werden würde, wenn standardisierte Prozesse zunehmen. Prof. Goger betonte, dass es jedenfalls gut geplante Ablauforganisationen und Prozessmodellierungen benötige, aber Individualität im Umgang miteinander weiterhin ein wichtiger Faktor sein wird. In der Kaffeepause machten die TeilnehmerInnen von der digitalen Tagungs-App vielfach Gebrauch, um die Tagungsbandbeiträge und Vortragsfolien nachzulesen.

Frage an Prof. Haghsheno zum Thema Lean Construction
Prof. Haghsheno auf der Bühne bei seinem Vortrag.

Im Anschluss wurden im Block „Zukunftsfragen aus Sicht der Praxis“, Herausforderungen der Digitalisierung aus Sicht des Bauherrn, der Bauplanung und der Bauausführung besprochen. Marcus Frantz als CIO der ÖBB-Holding AG spannte den Bogen von der digitalen Transformation und Disruption hin zu den Auswirkungen auf den „Transportation“-Sektor. In seinem Vortrag macht er verständlich, dass Auswirkungen für den Bauherrn ÖBB nach dem Prinzip „Long fuse, big bang!“ verstanden werden müssen. In der ÖBB verfolge man die Strategie der „connected-mobility“ in den drei Schritten „simplify-connect-act“. Anhand der Beispiele von Drohnen und des Einsatzes von Mobile-Mapping zeigt Frantz anschaulich welche digitalen Technologien bereits heute eingesetzt werden, ganz nach dem Motto „stop starting – start finishing“. Der Blick auf die digitale Bauplanung gelang mit Christoph Eichler, dem BIM Operations Director der ode. In dem detaillierten Fachvortrag erklärte Herr Eichler die „Sprache der Bauwirtschaft-BIM“ und die dabei aufeinander aufbauenden Modelle von der Initiierung bis hin zur praktischen Verwendung. Insbesondere betonte Herr Eichler die Wichtigkeit eines Koordinationsmodells. Peter Krammer, Vorstandsmitglied der Strabag SE, stellte die gegenwärtige Bedeutung der Digitalisierung im Baubetrieb dar. Aufbauend auf dem heutigen Stand der Produktivität der Bauindustrie identifizierte er insgesamt sieben Handlungsfelder im Zusammenhang mit neuen digitalen Technologien. Eindringlich beschrieb er dem Publikum die Wichtigkeit von Menschen und Prozessen und knüpfte damit an die Vorträge der Wissenschaft an. Darüber hinaus stellte er dar, dass neuen Formen der Bauproduktion Vertragsanpassungen und innovative, neue Vergütungsmodelle hervorrufen werden. Vernetzende Werkzeuge und die damit verbundene intelligente Nutzung von vorhandenen Daten werden in seinem Unternehmen mit Priorität behandelt und durch firmeninterne Entwicklungen vorangetrieben, so Krammer.

Vortrag von Peter Krammer, Vorstandsmitglied der Strabag SE
Peter Krammer steht am Rednerpult.

Die Podiumsdiskussion der Vortragenden aus dem Praxis-Block wurde durch die Fragen des Moderators sowie kritische Bemerkungen des Fachpublikums getragen. In den Kommentaren wurde spürbar, dass insbesondere an die Auftraggeber der Wunsch adressiert wurde, bereits vorhandene digitale Tools in Pilotprojekten umzusetzen. Der Baubetrieb lebe ausschließlich durch das „Forschungslabor Baustelle“, so der einhellige Tenor aus dem Publikum.

Podiumsdiskussion zum Themenblock „Zukunftsfragen aus Sicht der Praxis“
Podiumsdiskussion mit vier Teilnehmern.

Die Mittagspause gab entsprechend Raum für ausgedehnte Gespräche zwischen den teilnehmenden ExpertInnen des Kolloquiums.

Am Nachmittag wurde der Block zu den „Zukunftsfragen aus Sicht der Juristen und Gutachter“ durch den Vortrag des Präsidenten des Hauptverbands der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen Österreichs vis.Prof. Matthias Rant eröffnet. Er setzte die Digitalisierung in Zusammenhang mit der Sachverständigentätigkeit und leitete daraus die wesentlichen Ziele der Baudokumentation ab. Für die Umsetzung dieser Ziele stellte Herr Rant eine Strategie der Dokumentation vor und präzisierte sein Credo „Prozess vermeidet Prozess“. Durch die lückenlose Dokumentation von Bautätigkeiten könne man die Bauprozesse besser verstehen, um anschließend Gerichtsprozesse zu vermeiden oder präziser abzuwickeln.

Rechtsanwalt Georg Karasek nahm in seinem Vortrag zu RoboteranwältInnen Stellung und stütze seinen Vortrag auf eine wissenschaftliche Studie, in der die Performance der Fehlersuche bei Verträgen zwischen der künstlichen Intelligenz der Plattform Lawgeex und 20 US-Anwälten verglichen wurde. Die Plattform konnte dabei beachtliche Vorteile in Bezug auf die fachliche Genauigkeit und die erforderliche Zeit gegenüber den Anwälten generieren. Nichtdestotrotz appellierte Herr Karasek, dennoch in Zukunft bei heiklen Fällen auf menschliche Rechtsanwälte zu vertrauen. Das Kolloquium mit dem Schwerpunkt Baubetrieb hat sich zum Ziel gesetzt, mitunter auch interessante, fachfremde Vorträge einzugliedern. Aus diesem Grund präsentierte die Präsidentin des Handelsgerichts Maria Wittmann-Tiwald und Michael Kunz, ein Richter des Oberlandesgerichts Wien, den Status quo von digitalen Gerichtsverfahren in Österreich. Herr Kunz gab dabei Einblicke in das eIP – ein Integrationsportal und formulierte damit Kernanforderungen für den digitalen Akt.

Podiumsdiskussion zum Themenblock „Zukunftsfragen aus Sicht der Gutachter und Juristen“
Podiumsdiskussion mit fünf Teilnehmern.

Die Podiumsdiskussion mit den Vortragenden zeigte die unterschiedlichen Anforderungen an neue Technologien im Vergleich zu jenen der BauexpertInnen vom Vormittag. Eine Publikumsfrage zielte auf die Problematik der Beweiswürdigung automatisiert erstellter Protokolle ab. Die JuristInnen gaben zu bedenken, dass diese Daten vertrauenswürdig und überprüfbar sein müssen, um als Beweis gewürdigt zu werden. Fotos beispielsweise werden bereits bei Gericht teilweise nicht mehr zugelassen. Datenstrukturen, Formate sowie die Archivierung sind in der Entwicklung von juristischen Hilfsmitteln derzeit noch nicht standardisiert, hier gibt es erheblichen Aufholbedarf.

In der abschließenden Konklusion von Prof. Goger wurden die Kernthematiken des Kolloquiums zusammengefasst und laut über ein „Austrian Lean Institute“ (in enger Kooperation mit dem German Lean Institute) nachgedacht. Interessierte finden die konkreten Inhalte des Kolloquiums im Tagungsband, der in digitaler Form zur Verfügung steht und neben den Beiträgen der Vortragenden eine Rubrik mit Zukunftsfragen aus der Sicht junger IngenieurInnen, sowie einen Beitrag von Hon.Prof. Wilhelm Reismann zur Plattform 4.0 beinhaltet.

Das IBPM – Forschungsbereich Baubetrieb und Bauverfahrenstechnik freut sich nach dieser durchwegs gelungenen Veranstaltung bereits auf ein Wiedersehen beim nächsten, zweiten Kolloquium „Zukunftsfragen des Baubetriebs“ am 14.-15.5.2020.

Vorträge und Tagungsband digital verfügbar im guidebook-App
Screenshot guidebook-App.
Raum für zukunftsweisende Gespräche
Vortragende und Publikum beim Networking nach der Veranstaltung.

Information und Kontakt:

E-mail: zukunftbaubetrieb(at)tuwien.ac.at
Internet: www.zukunftbaubetrieb.at

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Programm 2018

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