8. Wiener Gespräche Wissenschaft & Bauwirtschaft
BIM in der Bauausführung – Ende der Leistungsänderungen?
Am 20.10.2016 fanden an der TU Wien die 8. Wiener Gespräche – Wissenschaft und Bauwirtschaft statt. Die Wiener Gespräche stellen die Fachvortrags- und Fachdiskussionsplattform des Instituts für interdisziplinäres Bauprozessmanagement der Technischen Universität Wien dar und weisen bereits eine langjährige Tradition auf.
Die Veranstaltung wurde durch drei Impulsvorträge eingeleitet.
Herr Univ.-Prof. Dr. Goger stellte an den Beginn seiner Keynote zur Zukunft des Baubetriebs, dass alle Phasen von der Projektentwicklung bis zum Rückbau von großer Bedeutung sind. Insbesondere ist es in der Frühphase eines Projekts wichtig, bereits die Nutzer einzubinden und die Lebenszykluskosten adäquat zu berücksichtigen. Um Fehler zu vermeiden, sollte es zukünftig möglich sein, den Bauablauf vor Baubeginn virtuell zu simulieren. Ein weiterer entscheidender Vorteil der Digitalisierung ist die Echtzeitverfassung während des Bauens; dadurch ist ein wesentlich verbessertes Controlling der Bauprozesse möglich. Mittel- bis langfristig wird die digitale Baustelle zur Realität werden, so Prof. Goger am Ende seines Vortrags, und einen radikalen Wandel im Bauwesen herbeiführen.
Herr Dipl.-Ing. Fentzloff (Implenia) referiert über BIM in der Ausschreibungs- und Ausführungsphase und präsentiert seine Erfahrungen beim Projekt des Albvorlandtunnels. Bei diesem Pilotprojekt der Deutschen Bahn hat die Fa Implenia ein 5D-Modell eingeführt. Zusätzlich zur dreidimensionalen Planung wurden die Bauzeit- sowie die Kostenkomponente erfasst. Herr Fentzloff veranschaulicht das eingesetzte Modell mit einer Simulation, in welcher der grafisch dargestellte Baufortschritt mit Bauzeitplan und Kostenentwicklung überlagert wird. Zur Vermeidung von Leistungsänderungen konnte mit BIM eine Kollisionsprüfung durchgeführt und so frühzeitig notwendige Geometrie- bzw Bauablaufänderungen erkannt werden. Ein organisatorisch-rechtlicher Aspekt wird ebenfalls angesprochen: Die bisher üblichen Vergaberegeln und -prozesse sowie die Bauverträge sind hinkünftig komplett umzugestalten. Herr Fentzloff schließt seinen Vortrag mit der Erkenntnis, dass sich das Ausmaß der Leistungsänderungen vor allem nach der Qualität der Informationen vor Baubeginn richten wird.
Herr Dipl.-Ing. Jurecka (iC Consulenten) leitet seinen Vortrag mit einem Überblick über die geltenden Regeln zum Leistungsänderungsrecht ein. Störungen der Leistungserbringung, wie sie beispielsweise durch geologisch bedingte Änderungen hervorgerufen werden, werde man auch hinkünftig sicherlich nicht ausschließen können. Wie seine Vorredner weist auch Herr Jurecka darauf hin, dass es notwendig ist, Planung und Simulation zeitlich vorzuverlagern. Dies ist auch Ausfluss aus der gezeigten „MacLeamy Curve“. Schließlich stellt Herr Jurecka den Zwischenstand der internationalen Normung im Hinblick auf Beschreibung und Austausch von digitalen Gebäudemodellen vor und verweist auf die IFC (Industry Foundation Classes). Die von ihm abschließend „angeschlagenen“ Thesen dienen als Überleitung zur Diskussion.
Nach den Impulsvorträgen wurden die Teilergebnisse einer Umfrage präsentiert, die unter den Besuchern der Veranstaltung durchgeführt wurde. Folgende Fragen wurden vor Ort ausgewertet:
- Mein Informationsstand über BIM ist?
- Wie schätzen Sie die zukünftigen Veränderungen in der Projektabwicklung durch BIM und die zunehmende Digitalisierung ein?
Die große Mehrheit des Publikums hält sich über BIM höchstens „etwas informiert“. Nur 4% haben je mit BIM gearbeitet.
Die Frage, ob sich BIM positiv auf Planungsprozess, Bauausführung und Betrieb auswirken werde, beantwortet die überwiegende Mehrheit mit Ja. Feststellbar sind jedoch unterschiedliche Ergebnisse: die Auswirkungen auf die Bauausführung werden signifikant kritischer gesehen als auf die Planung.
Für die Diskussion wurden zwei weitere Teilnehmer auf das Podium eingeladen: Herr Dipl.-Ing. Denk (FCP) und Herr Dipl.-Ing. Zwittnig (ÖBB Infrastruktur). Die Moderation wurde von Herrn Univ.-Prof. Dr. Kropik übernommen.
Zunächst schildert Herr Denk seine Erfahrungen mit BIM im Hochbau und in der Tragwerksplanung. Bei einem bereits durchgeführten Projekt konnten Architektur, Tragwerksplanung und Bauphysik in einem einzigen Modell vereint werden. Die Integration von Gebäude- und Elektrotechnikplanung ist bereits bei einem Folgeprojekt vorgesehen; die Ergänzung um 3D-Vermessung, Kosten und Massen ist ebenfalls realistisch.
Herr Zwittnig stellt kurz die strategische Ausrichtung in seinem Unternehmen betreffend BIM vor. Drei Pilotprojekte wurden bereits gestartet. Auch er weist darauf hin, dass bei den Auftragsvergaben Neuland betreten wird.
Die Frage von Prof. Kropik, ob BIM überhaupt für die von allen betonte frühzeitige Koordination notwendig sei, wurde von Prof. Goger wie folgt beantwortet. Grundsätzlich ist BIM dafür zwar nicht die Voraussetzung, es führt jedoch zu einer größeren Erfordernis, sich frühzeitig mit Baustellenorganisation, Arbeitsvorbereitung, Baustelleneinrichtung udgl auseinanderzusetzen. Die Bauindustrie sei offen für BIM. Erhebliche Einsparungen im Rahmen des Baubetriebs sind durchaus realistisch.
Die Kernfrage der Veranstaltung, ob BIM das Ende der Leistungsänderung bedeutet, wird von den Diskutanten unisono mit Nein beantwortet. In Teilbereichen ist es zwar möglich, Leistungsänderungen zu vermeiden, jedoch erscheint es unrealistisch, dass der Bauherr nicht auch künftig in den zuvor vereinbarten Leistungsumfang eingreift (oder sogar eingreifen muss). Trotz Digitalisierung ist das Verhalten der Beteiligten von großer Wichtigkeit. Nachtragsmanagement in das BIM-System zu integrieren, ist nach den Ausführungen der Diskutanten noch Zukunftsmusik.
In der abschließenden Diskussion mit dem Publikum wird erörtert, dass es letztlich die Entscheidung der Auftraggeber ist, BIM in Projekten zu implementieren. Im angelsächsischen Raum gibt es gute Beispiele dafür, dass BIM in Kooperation zwischen AG und AN zielführend angewandt werden kann. Widerholt wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, die bisher üblichen Bauvertrags-Schemata neu zu denken.
Prof. Kropik endete den offiziellen Teil der Veranstaltung mit dem Dank an die Sponsoren und kündigte weiter Veranstaltungen des Institutes an:
- Buchpräsentation „Baukalkulation und Kostenrechnung“ am 14.11.2016
- Save the Date für die 9. Wiener Gespräche im TUtheSky am 19.10.2017
Im Zuge des im Anschluss stattfindenden Buffets wurden weitere Facetten dieser interessanten Thematik und sicherlich auch viele andere aktuelle Aspekte der beruflichen Tätigkeiten der Teilnehmer rege diskutiert.
Bericht: Dr. Ingo Heegemann
Fotos: DI Michael Hadek