7. Wiener Gespräche Wissenschaft & Bauwirtschaft
„Erfolgsfaktoren für eine faire Bauprojektabwicklung“
Am 22. Oktober 2015 fanden im Festsaal des Palais Eschenbach die 7. Wiener Gespräche – Wissenschaft & Bauwirtschaft statt. Die Wiener Gespräche stellen die Fachvortrags- und Fachdiskussionsplattform des Instituts für interdisziplinäres Bauprozessmanagement der Technischen Universität Wien dar und weisen bereits eine langjährige Tradition auf.
Die Impulsvorträge wurden wieder fächerübergreifend abgehalten. Dieses Jahr von Frau Mag. Gucher (4dimensions) und Herrn Univ.Prof. Dr. Jodl.
Herr Prof. Jodl stellt am Beginn seines Vortrages als entscheidende Einflussfaktoren für eine faire Bauprojektabwicklung das Bestbieterprinzip, die Kooperation und den Menschen dar. Bezüglich des Bestbieterprinzips wird auf die derzeit laufende Novellierung des Vergabegesetzes verwiesen.
Als wesentlichen Faktor für das Gelingen eines Bauprojektes ist aus seiner Sicht die Partizipation als Grundvoraussetzung für eine Kooperation anzusehen. Essentiell ist, dass die Projektbeteiligten zu Entscheidungen befugt und befähigt sind – mit klaren Kompetenzstrukturen. Als Beispiel wird die Vortriebsklassifikation im Tunnelbau gebracht. Zuletzt geht Prof. Jodl auf den Faktor Mensch ein. Wichtig ist es, ganzheitliches Denken und Handeln zu fördern, die Mitarbeiter mit dem notwendigen Vertrauen auszustatten und deren Entscheidungen mitzutragen.
Frau Mag. Gucher, Expertin für Kommunikation, stellt an den Beginn Ihres Vortrags als Beispiel negativ belegte Besprechungen. Es kann beobachtet werden, dass solche bei den Teilnehmern zu evolutionsbedingten Überlebensmechanismen wie Verteidigen, Flüchten oder Totstellen führen können. Es sollte daher bei der Auswahl der Projektpartner darauf geachtet werden, dass „die Chemie stimmt“ und der Umgang mit Respekt und Wertschätzung erfolgen kann.
Weiters werden von Frau Gucher die drei Kapitalien der Wirtschaft vorgestellt: Realkapital, Humankapital und Sozialkapital. Von diesen sind neben dem Realkapital mittlerweile auch das Humankapital als wichtige Faktoren der Allgemeinheit bekannt. Weniger im Bewusstsein von Projektbeteiligten vorhanden ist die Notwendigkeit für die richtige Steuerung des Sozialkapitals. Das Sozialkapital wird durch die Kultur im Unternehmen bzw. Projekt sowie das entgegengebrachte Vertrauen beeinflusst. Investitionen in das Sozialkapital führen laut Fr Mag Gucher zu einer erhöhten Produktivität und seien sogar auch messbar. So soll die Menschlichkeit auch zu einem unternehmerischen Profit werden.
Nach den Impulsvorträgen wurden die Ergebnisse einer Umfrage präsentiert, die unter den Besuchern der Veranstaltung durchgeführt wurde. Folgende Fragen wurden gestellt:
1. Werden Projekte derzeit kooperativer als früher abgewickelt?
2. Ist das Billigstbieterprinzip eine Ursache für eine problematische Projektabwicklung?
Zur Frage 1 waren 78 % der Anwesenden der Meinung, dass Projekte derzeit nicht kooperativer abgewickelt werden als früher. Zur Frage 2 gaben 73 % der Anwesenden an, dass aus Ihrer Sicht das Billigstbieterprinzip für die Projektabwicklung problematisch sei. Interessant ist bei dieser Frage die uneinheitliche Sichtweise. Unter den Vertretern von Bauherren gibt es nur zu 43 % Zustimmung, dass das Billigstbieterprinzip in Projektabwicklung problembehaftet ist.
Für die Diskussion wurden drei weitere Teilnehmer auf das Podium eingeladen – Herr Dipl.-Ing. Maximilian Pammer (Bundesimmobiliengesellschaft m.b.H.), Herr Dipl.-Ing. Anton Karner (HABAU Hoch- und Tiefbaugesellschaft m.b.H.) und Herr Dipl.-Ing. Andreas Jurecka (iC consulenten Ziviltechniker GesmbH). Die Moderation wurde von Herrn Prof. Kropik übernommen.
Prof. Jodl merkt an, dass Planer gegenwärtig einen wesentlich globaleren Umfang beziehungsweise Auftrag abdecken müssen als früher. Essentiell für den Projekterfolgt ist die Qualität der Planung und der darauf aufbauenden Ausschreibung. Nur so sind risikoarme Kalkulationen der Auftragnehmer und damit gute Preise möglich.
Herr Karner ist der Meinung, dass es einer Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Projektbeteiligten bedarf. Auch sollte auch in Zeiten von Compliance-Richtlinien weiterhin ein Feierabendbier möglich sein, ohne dass sich zum Beispiel ÖBA und Auftragnehmer gegenüber dem Auftraggeber rechtfertigen müssen. Ein wertschätzender Umgang aller Projektbeteiligten muss zu jeder Zeit gegeben sein. Auch von Herrn Karner wurde die Forderung nach qualitativen Ausschreibungen wiederholt.
Frau Gucher hält fest, dass sie den bekannten Spruch: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ umformulieren würde. Aus ihrer Sicht sollte es heißen: „Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser“. In den Projektphasen zwischen den Meilensteinen sollte Vertrauen herrschen. Zu den Meilensteinen könne dann wieder kontrolliert werden. Weiters ist es notwendig, die eigenen Emotionen unter Kontrolle zu halten und wertschätzend miteinander umzugehen.
Herr Jurecka führt aus, dass von allen Beteiligten eines Bauprojektes Mut abverlangt werden muss. Der Auftragnehmer muss seinen Mut bei seinem Angebot beweisen und bei schwierigen technischen Entscheidungen. Die Konsulenten müssen Grundsatzfragen in der Planung und der Abwicklung beantworten und zum Teil auf beschränkter Datenlage mutig und rasch entscheiden. Natürlich hat der Bauherr seine Entscheidungen mutig zu treffen, denn keine Entscheidung zu treffen ist sicher die schlechteste Wahl.
Herr Pammer sieht die Notwendigkeit, ein gutes Gesprächsklima aufrecht zu erhalten und sich nicht zu fürchten. Essentiell ist die Auswahl von gut zueinander passenden Mitgliedern des Projektteams. Wenn Probleme nicht auf der operativen Ebene gelöst werden können, soll es für die Projektbeteiligten möglich sein, auf eine Rückfallebene mit entscheidungsbefugten Personen zurückzugreifen.
In der abschließenden Diskussion mit dem Publikum traten gegensätzliche Sichtweisen zu Tage. So wurde von Seiten eines Auftraggebervertreters argumentiert, dass trotz aller angeblicher fast bei jedem Bauprojekt auftretender Verluste von Auftragnehmern die meisten Baufirmen immer noch existieren. Herr Dr. Ellmer (ASI) merkt an, dass er kein Projekt mit kooperativer Abwicklung kenne, das vor Gericht gelandet wäre. Von Seiten der Auftragnehmer wird von Herrn Weidlinger (Swietelsky) eine gute Ausschreibung als wesentliches Fundament für eine gute vertragliche Zusammenarbeit eingefordert. Dies umfasst valide Mengengerüste und das Verwenden von standardisierten Leistungsbeschreibungen und den weitgehenden Verzicht von Z-Positionen.
Im Zuge des im Anschluss stattfindenden Buffets wurden weitere Facetten dieser interessanten Thematik und sicherlich auch viele andere aktuelle Aspekte der beruflichen Tätigkeiten der Teilnehmer rege diskutiert.
Bericht: DI Andreas Jurecka
Fotos: Dr. Arthur Schönwälder
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